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Der Mond über Jerusalem

Roman

Erschienen am 16.08.2022
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783036958934
Sprache: Deutsch
Umfang: 400 S.
Format (T/L/B): 2.8 x 19 x 12.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

In Jerusalem herrscht Aufbruchstimmung - die Wirtschaft boomt, der Frieden mit Palästina scheint möglich, und im Fernsehen läuft der Countdown zum Start der Apollo 11. Es ist der 16.Juli 1969. Während eines einzigen Tages, an dem Weltgeschichte geschrieben wird, gehen fünf Menschen in Jerusalem ihrem Alltag nach. Auf den ersten Blick haben sie nichts gemein, und doch sind ihre Leben miteinander verknüpft. Da gibt es den siebenjährigen Charlie, dessen Mutter den Tod seines Vaters nie überwunden hat; Said, ein stummer Müllmann; die junge kanadische Englischlehrerin Beth, die ihren Eltern entfloh; Hans, der Deutsche, der dem Holocaust entkam; und der Schreiner Baruch, der als Kind aus Mostar floh. Für sie alle ist Jerusalem eine Zuflucht. Als die Mondlandung gelingt, ist das ein großer Schritt für die Menschheit, und doch nur ein kleiner für die Menschen auf der Erde.

Autorenportrait

Dori Pinto, geboren 1958 in Jerusalem, studierte Politikwissenschaft, Jura sowie Literaturwissenschaft an der Universität Tel Aviv und war der öffentliche Verteidiger des Bezirks Jerusalem. "Der Mond über Jerusalem" ist sein erstes Buch und wurde 2020 mit dem Sapir-Preis für das beste Debüt ausgezeichnet. Ruth Achlama, 1945 in Deutschland geboren, übersetzt hebräische Literatur ins Deutsche, darunter Werke von Amoz Oz, Abraham B. Jehoschua, Yoram Kaniuk und Meir Shalev. Für Kein & Aber hat sie mehrere Romane von Ayelet Gundar-Goshen und Yishai Sarid übersetzt. 2015 wurde sie mit dem Deutsch-Hebräischen Übersetzerpreis ausgezeichnet. Sie lebt in Tel Aviv.

Leseprobe

1 Ein grauer Rabenvogel startete bei Sonnenaufgang vom Wipfel eines hohen Eukalyptusbaums neben dem alten Bahnhof. Er segelte gemächlich gen Süden entlang der großen Straße und landete auf dem breiten steinernen Dachgeländer eines Gebäudes mit grün verzierter Front. Der Rabenvogel hüpfte auf der Brüstung hin und her, stieß sich dann kräftig von der rauen Fläche ab und flog weiter. Ein überquellender Mülleimer stand zwischen dem blauen Tor des öffentlichen Schwimmbads und dem geschlossenen grünen Hoftor eines Restaurants, das auch jetzt, frühmorgens, noch von einem Hauch nach gebratenem Fleisch und Zwiebeln umwabert war. Der Rabenvogel legte die Flügel an, reckte den Hals, tauchte durch eine Wolke von Fliegen, die über dem Mülleimer schwirrten, schnappte sich mit seinem starken, schwarzen Schnabel ein schwabbelndes Stückchen Fleisch und schoss schräg in die Höhe. Mit einem Flügel streifte er beinahe die Mauer des Schwimmbads, auf der eine rote Schmiererei prangte. Er flog erneut die Straße entlang, jetzt jedoch in die Gegenrichtung, zurück zum Nest. Etwa in der Mitte des Weges wich er, vielleicht eines leichten Luftzugs wegen, ein Stückchen nach Westen von seiner gewohnten Sommerstrecke ab und überquerte einen großen, von Furchen durchzogenen Garten. Ihn suchte er normaler weise nur an kühlen, grauen Frühwintertagen auf, wenn er feuchte Samen aus der losen Erde picken konnte. Der Rabenvogel kreiste über einer mit hohen Disteln bewachsenen Ecke des Gartens und landete auf der Spitze einer der Zypressen, die ihn umstanden. Der biegsame, dünne Zweig schwankte mit ihm auf und ab. Gegenüber, jenseits des ramponierten Drahtzauns, der den Garten auf der anderen Seite begrenzte, befand sich ein lang gezogenes Steingebäude, und dort im zweiten Stock, auf dem leicht abschüssigen Boden eines kleinen Balkons, saß ein Kind mit nacktem Oberkörper. Der Junge trug kurze Hosen. Seine Oberschenkel steckten zwischen den Stäben des Eisengeländers, die Waden baumelten in der Luft, und seine nackten Füße wippten ein wenig vor und zurück, vor und zurück. Die Augen des Kleinen waren geschlossen, der Kopf hing nach vorn, und das zarte Kinn ruhte auf der Brust. Inmitten des Haarwirbels auf seinem Schädel zeigte sich ein verletzliches Stückchen Kopfhaut, von violett-rosa-grün blau schimmernden Äderchen durchzogen, sehr ähnlich den Fasern des Fleischstücks, das der Rabenvogel im Schnabel hielt. Die Blätter eines schlappen, verstaubten Strauchs, den man in einer Gartenecke gepflanzt hatte, zeigten feine Linien beginnenden Welkens. Der Rabenvogel hob vom Wipfel der Zypresse ab, schwebte lautlos über die Furchen des Gartens und landete auf dem eisernen Balkongeländer, über dem Kopf des Jungen, dessen geschlossene Augenlider plötzlich flatterten. Auf dem Boden hinter ihm marschierten zwei Ameisenkolonnen in entgegengesetzte Richtungen. Ihre Rücken schillerten in einer Fülle von Braun- und Orangetönen. Aus der Wohnung erklangen ruhige Atemzüge, hin und wieder unterbrochen durch einen kurzen Seufzer. Das Kinn des Jungen sank noch tiefer auf die Brust, und er murmelte: »Charlie, Charlie.« Der Rabenvogel flatterte mit bebendem Hals und heftigem Flügelschlag vom Geländer auf und setzte seinen Weg nach Norden fort. Über dem Bahnhof angelangt, begann er die erste der beiden Runden, die er dort gemeinhin drehte, bis er wieder zu seinem Nest auf dem Wipfel des mächtigen Eukalyptusbaums abtauchte. Die kurzen Federn an seinem gestreckten Hals richteten sich auf. Am südwestlichen Ende des klaren Himmels schwebten ein paar hellgraue, fast durchsichtige Wolken. Die Flügelbewegungen verlangsamten sich, als hätten sich ihre Federn mit Regenwasser vollgesogen. Als er die zweite Runde beendete, hatten sich die leichten Wolken schon fast vollständig verzogen.

Schlagzeile

Fünf Leben, zwischen Alltag und Weltgeschichte

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